Geldpolitische Entscheide der SNB vom 16. Juni 2022
Am 16. Juni 2022 hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) bekannt gegeben, dass die Geldpolitik nach 15 Jahren erstmals wieder gestrafft werden soll, um der gestiegenen Teuerung entgegenzuwirken. Mit Wirkung ab 17. Juni 2022 wurde der Leitzins von -0.75% auf -0.25% angehoben. Ausserdem wird per 1. Juli 2022 der Freibetragsfaktor von aktuell 30 auf 28 reduziert.
Die Teuerung stieg in den letzten Monaten konstant und liegt seit Februar 2022 über den von der SNB angestrebten 2% und zuletzt sogar nur noch knapp unter der 3%-Marke. Die SNB hat die Inflationsprognose für die Jahre 2022 bis 2024 gegenüber der letzten Publikation im vergangenen März denn auch deutlich erhöht. Für das laufende Jahr rechnet die SNB neu mit einer Teuerung von 2.8% statt bisher 2.1%, für 2023 mit 1.9% statt 0.9%. Die stärkere und zunehmend breiter abgestützte Teuerung war gemäss dem SNB-Präsidenten Thomas Jordan der Hauptgrund, weshalb der Zinsschritt so deutlich ausgefallen ist.
Die Anpassung des Freibetragsfaktors trägt ebenfalls zu einer Reduktion der Liquidität im Bankensystem bei. Zudem soll die Massnahme gemäss der SNB dazu führen, dass die kurzfristig besicherten Geldmarktzinsen in Franken nahe am SNB-Leitzins liegen. Die Chance, das Repo-Geschäft als zusätzliche Ertragsquelle zu nutzen, wurde dadurch für viele Banken geschmälert oder hat sich sogar ganz erübrigt.
Gesamtentwicklung und Auswirkungen auf das Bankgeschäft
Zahlreiche Einflussfaktoren bieten einen bunten Strauss an möglichen Entwicklungen auf das Geschäft von Banken. Nebst den bekannten Rahmenbedingungen spielt auch das Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage eine wesentliche Rolle, was sich auf die Bilanzstruktur einer Bank auswirken kann. Zwar ist die Festhypothek nach wie vor mit Abstand am beliebtesten. Im Mai konnte laut Moneypark zuletzt aufgrund gestiegener Marktzinsen jedoch ein Wachstum des SARON-Hypothekarvolumens von 3% auf 10% beobachtet werden. Diese Entwicklung wäre aus Sicht der Zinsrisiken grundsätzlich vorteilhaft. Die vermeintliche «Gewissheit» von tiefen SARON-Zinsen erfuhr aber mit der Leitzinserhöhung vom 17. Juni eine jähe Zäsur. Die künftige Entwicklung des SARON-Volumens ist damit schwieriger einzuschätzen. Passivseitig zeigt sich ebenfalls eine neue Ausgangslage. So könnte mit höheren Zinsen die Kassenobligation schon bald ein Revival erleben. Je nach Wirtschaftslage ist aber ebenso denkbar, dass die liquiden Mittel von Kunden tendenziell abnehmen könnten oder zumindest kein Interesse an einer längerfristigen Kapitalbindung besteht.
Die künftige Entwicklung der Gesamtwirtschaft sowie der Inflation bergen sehr hohe Risiken und Unsicherheiten in sich. So konnte zuletzt Ende der 1980er/Anfang der 1990er ähnlich wie heute eine Teuerung von ca. 3% beobachtet werden. Damals reagierte die SNB ebenfalls mit einer Straffung der Geldmengenpolitik, die innerhalb weniger Jahre tatsächlich zu einer Normalisierung der Teuerung geführt hatte. Gleichzeitig würgte die Massnahme jedoch die Wirtschaft ab, was in der Folge zu einer Rezession und Zunahme der Arbeitslosenquote auf bis zu 4.7% führte. Zum Vergleich: im Mai 2022 betrug die Arbeitslosenquote gem. SECO 2.1%, was dem tiefsten Stand seit 20 Jahren entspricht. Am 15. Juni 2022, also genau einen Tag vor der Ankündigung der strafferen Geldmengenpolitik durch die SNB, passte das SECO die Wachstumsprognosen für die Schweiz infolge des Kriegs in der Ukraine sowie der Entwicklung in China bereits nach unten an. Für 2022 wird noch mit einem Wachstum von 2.6% (Prognose März 2022: 2.8%) gerechnet, für 2023 noch mit 1.9% (Prognose März 2022: 2.0%). Diese Prognosen waren nur einen Tag später, nach Ankündigung des Zinsschritts der SNB, mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits wieder zu optimistisch. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob die SNB diesmal den äusserst anspruchsvollen Balanceakt zwischen Inflationsbekämpfung und Wirtschaftswachstum meistern wird.
Situation am Immobilienmarkt
Die SNB beurteilt die Immobilienpreise seit längerem insgesamt als überbewertet. Im Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bestehen diesbezüglich nicht zu unterschätzende Risiken. Zwar habe gemäss Fritz Zurbrügg von der SNB der Belehnungsgrad von Neuhypotheken für Wohnrenditeliegenschaften seit 2020 abgenommen. Gleichzeitig sei die LTI-Ratio, welche die Tragbarkeitsrisiken für Neuhypotheken misst, gestiegen. Für bestehende Hypotheken geht die SNB aktuell davon aus, dass die Tragbarkeitsschwelle von 5% bei jeder fünften Immobilie aktuell nicht mehr eingehalten werden kann. Dafür gibt es einfache und nachvollziehbare Gründe, denn nach der Kreditvergabe werden die Einkommensverhältnisse nicht mehr überprüft, sofern die Zinsen stets rechtzeitig bezahlt werden. Da in der Schweiz Hypotheken mit Vorliebe längerfristig abgeschlossen werden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich bei einigen Schuldnerinnen und Schuldnern die Lebensumstände und damit einhergehend auch die Einkommenssituation zwischenzeitlich verändert haben. Diese Situation ist zwar aktuell noch unproblematisch. Bei weiter steigenden Zinsen können sich Verlängerungen aber durchaus schwierig gestalten und für betroffene Immobilienbesitzer entsprechend unangenehme Nebenwirkungen haben, was wiederum entsprechende Risiken für die Bank mit sich bringt.
Ganz düster werden die Aussichten, wenn mit einem weiteren Zinsanstieg gleichzeitig auch die Immobilienpreise sinken würden, wie das vom SNB-Direktionsmitglied Fritz Zurbrügg als Stressszenario für eine schwere Rezession skizziert wird. In diesem Fall müssten für Hypotheken nahe an der Belehnungsgrenze zusätzliches Eigenkapital eingebracht werden, was Schuldnerinnen und Schuldner in grosse Schwierigkeiten bringen könnte. Ob diese Nachschusspflicht allerdings im Interesse der Bank ist, ist mehr als fraglich. Einerseits würde bei einer strikten Umsetzung wohl vermehrt Kredite ausfallen, andererseits würden die Zinserträge zusätzlich durch geringere Kreditvolumina abnehmen. Nach Schätzungen der SNB würden die Eigenkapitalpuffer der meisten inlandorientierten Banken jedenfalls ausreichen, um ein solches Szenario zu überstehen. Die Eigenkapitalausstattung einzelner Banken würde sich dabei allerdings den regulatorischen Mindestanforderungen annähern oder diese sogar unterschreiten.
Bedeutung für Regionalbanken
Die Bedeutung der beiden SNB-Entscheide kann für Regionalbanken auf Grund der komplexen Gesamtsituation unmöglich vorhergesagt werden. Sicher scheint jedoch: Die geldpolitische Stabilität der letzten 7 bis 10 Jahre scheint vorläufig vorbei zu sein. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, gewohnte und auch bewährte Pfade zu verlassen und die Strategie an die ungewisse Zukunft und sich zunehmend schneller verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Insgesamt kann die Zinsanpassung als Schritt in Richtung Normalisierung betrachtet werden. Der Weg dahin birgt allerdings sowohl für die Gesamtwirtschaft wie auch für Banken im Speziellen hohe Risiken und die Unsicherheit ist allgemein gross.
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